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Mehr arbeiten – nein Danke!

Mehr arbeiten – nein Danke! Eine deutliche Mehrheit der deutschen Arbeitnehmer denkt so. Das ist das Ergebnis einer repräsentativen Umfrage mit 2.000 Beteiligten im Auftrag des Karrierenetzwerks Xing. Die Politik sieht das ganz anders. Die Debatte über die Leistungsfähigkeit der deutschen Wirtschaft ist ja nicht neu. Gerade erst am Wochenende äußerte Bundeskanzler Merz, dass der Sozialstaat des bundesdeutschen Zuschnitts mit dem, was die deutsche Wirtschaft als Bruttoinlandsprodukt erwirtschaftet, nicht mehr finanziert werden kann. Auch die Ministerin für Wirtschaft, Katharina Reiche, äußerst sich entsprechend und fordert eine Mehrleistung auf der Basis längerer Arbeitszeit. Die meisten Arbeitnehmer sagen aber „nein“!

Reicht die Arbeitszeit volkswirtschaftlich aus?

Realitätsverlust

Immerhin sind es 65% aller Berufstätigen, die eine Arbeitszeit über das gegenwärtige Maß hinaus strikt ablehnen. Bei den 25 – 35ig-Jährigen sind es sogar 75%, genauso wie bei den über 60ig-Jährigen. Als individuelle Begründung wurde in der Regel das Bedürfnis nach mehr Freizeit für Familie und Hobbys angegeben. Gut, das kann man ja grundsätzlich nachvollziehen, aber die in der Regel angegebene ökonomische Begründung lässt doch aufhorchen. Die meisten, die Mehrarbeit ablehnten, waren der Überzeugung, dass eine Steigerung der Produktivität volkswirtschaftlich gar nicht nötig sei. Das klingt nach einer Meinung außerhalb der Faktenlage.

Seit fünf Jahren stagniert die deutsche Wirtschaft auf dem Niveau des Null-Wachstums. Die Staatsausgaben sind in den letzten fünf Jahren aber um 13% gestiegen. Rasant melden Unternehmen ihre Insolvenz an und setzen dabei so viele Arbeitskräfte frei, dass die Arbeitslosenquote so hoch wie seit 20 Jahren nicht mehr ist. Das bedeutet einen enormen Ausfall an Steuern und Sozialabgaben bei gleichzeitig steigenden Ausgaben der Sozialkassen. Die aber sind leerer als jemals zuvor. Diese Tatsachen werden offensichtlich nicht zur Kenntnis genommen.

Einfach ignorieren

Es gibt zunehmend Fachkräftemangel. Freigesetzte Fachkräfte aus Insolvenzfirmen lassen sich aber nicht einfach in Bedarfsregionen verschieben. Und Unternehmen mit gutem Konjunkturverlauf suchen dringend qualifizierte Arbeitskräfte, um der Auftragslage gerecht zu werden. Wer in einem gesunden Unternehmen seinen Arbeitsplatz hat, sollte also angesichts der realen Situation unserer Wirtschaft über Mehrarbeit nachdenken, aus persönlichem und volkswirtschaftlichem Interesse. Wer aber der Meinung ist, der Staat könne durch Einsparungen im Sozialhaushalt die fehlenden Steuermittel ersetzen, kann schlicht nicht rechnen. Auch die zusätzliche Besteuerung von Superreichen wäre für diesen Zweck nicht hinreichend. Natürlich bedarf es strenger Sparbemühungen und einer gründlichen Revision staatlicher Sozialausgaben. Aber gesunde Staatsfinanzen sind nur auf der Grundlage einer produktiven Volkswirtschaft denkbar. Und dazu gehört eben auch eine Bewertung der arbeitszeitlichen Leistung. In keinem Land der EU gibt es so viele freie Tage durch Feiertage wie bei uns. Kaum ein Land der EU kennt so großzügige Urlaubsregelungen. In keinem Land der EU werden so wenige Arbeitsstunden pro Kopf und Jahr geleistet wie bei uns. Das scheint aber kaum jemand zur Kenntnis zu nehmen.

Übrigens reicht zur Bewertung der bundesdeutschen Arbeitsleistung in Stunden nicht nur der Vergleich mit Ländern der Europäischen Union. Die ist zwar immer noch Deutschlands wichtigster Handelspartner, aber das außereuropäische Ausland leistet in der Regel noch unverhältnismäßig mehr in puncto Arbeitsleistung, siehe Japan.

Aufwachen!

Es ist höchste Zeit, die Wirklichkeit zur Kenntnis zu nehmen. Es scheint so, als ob große Teile der deutschen Bevölkerung die ständige Weiterführung eines außerordentlichen Wohlstands als „Naturgesetz“ begreifen, statt als Ergebnis produktiver Höchstleitung. Und wer dies leugnet und statt dessen auf die finanziellen Folgen der Migration verweist, verkennt, dass die radikale Partei am rechten Rand unserer Gesellschaft ein Wahlprogramm vorgelegt hat, das alle Grenzen staatlicher Ausgabenpolitik sprengt. Sie kann es sich ja erlauben. Sie muss nicht beweisen und trägt keine Verantwortung. Zu einer stabilen und produktiven deutschen Volkswirtschaft gibt es eben keine Alternative.